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über den Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge wie von Frauke Petry (ex-AfD) gefordert

 

Frauke Petry, damals in der AfD, forderte den Gebrauch von Schusswaffen, um Flüchtlinge abzuwehren an der Landesgrenze. Sie äußerte dies in zwei Interviews. Hier gehe ich den Gang der Ereignisse nach und zeige auf, dass ein solcher Einsatz keineswegs der Gesetzeslage entspricht.   

 

Das Interview im "Mannheimer Morgen"

Am Samstag, den 30. 1. 2016, erschien im Mannheimer Morgen ein Interview mit Frauke Petry.

Hier zitiere ich einen etwas längeren Auszug aus dem Interview, damit der Kontext nicht verloren geht:

Petry: Wir müssen natürlich genügend Bundespolizisten einsetzen und dürfen Zurückweisungen nicht scheuen. Dies muss notfalls auch mit Grenzsicherungsanlagen durchgesetzt werden.

Wie hoch sollen die Zäune sein?

Petry: Sie können es nicht lassen! Schauen Sie doch mal nach Spanien. Die haben auch hohe Zäune.

Was passiert, wenn ein Flüchtling über den Zaun klettert?

Petry: Dann muss die Polizei den Flüchtling daran hindern, dass er deutschen Boden betritt.

Und wenn er es trotzdem tut?

Petry: Sie wollen mich schon wieder in eine bestimmte Richtung treiben.

Noch mal: Wie soll ein Grenzpolizist in diesem Fall reagieren?

Petry: Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.

Es gibt in Deutschland ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?

Petry: Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.

Quelle: Mannheimer Morgen vom 31. 1. 2016, Link zuletzt eingesehen am 6. 2. 2016, fette Hervorhebungen in den Textpassagen von mir.

Es geht also um den fiktiven Fall, dass die deutsche Grenze durch Zäune gesichert ist, diese von Flüchtlingen überwunden wird. Sollte dies der Fall sein, spricht sich Fr. Petry für einen Schusswaffengebrauch als ultima ratio aus, denn so stehe dies im Gesetz. Um den juristischen Sachverhalt vorweg zu nehmen: dies steht so nicht im Gesetz, darauf gehe ich aber weiter unten ausführlicher ein.

Beatrix von Storch setze noch einmal nach:

Der Berliner Tagesspiegel zitiert sie folgendermaßen:

"Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. Die Menschen sind in Österreich in Sicherheit. Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren."

Ein Kommentator auf Facebook schrieb dazu:

"Das ist Schwachsinn. Wollt Ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?" Von Storch antwortete: "Ja".

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Quelle: Berliner Tagesspiegel vom 31. Januar 2016, Link zuletzt eingesehen am 6. 2. 2016

Diese Äußerung relativierte sie dann wieder und schränkte ein, dass ein Schusswaffengebrauch gegen Kinder sich verbiete, gegen Frauen aber könne innerhalb der gesetzlich engen Grenzen von der Schusswaffe gebrauch gemacht werden können. Auch hier gleich vorweg: Wenn Menschen eine Grenze überqueren, ohne dass von ihnen eine Gefahr ausgeht, ist ein Schusswaffengebrauch gesetzlich nicht legitimiert!

Zurück zu Fr. Petry:

Die Wellen der Empörung schlugen hoch, ein solcher Vorschlag stieß auf recht breite Ablehnung. Man diskutierte auch mit der AfD hierüber:

Schon am Dienstag, den 2. Februar 2016, kam es zu einer Telefonkonferenz, in der man Fr. Petrys kritisierte, insgesamt aber nur halbherzig. "Die meisten Mitglieder aus der Vorstandsrunde monierten einen taktischen Fehler, gleichsam das Offenlegen der richtigen Gesinnung zum falschen Zeitpunkt." (Printausgabe Der Spiegel 6/2016, S. 13).

Nach Außen wurde schnell versucht, zurück zu rudern. In AfD-typischer Manier warf sie der Presse vor, sie falsch wiedergegeben zu haben.

Die Augsburger Allgemeine vom 2. Februar 2016 schreibt hierzu:

Nach massiver Kritik an ihren Äußerungen zum Schusswaffengebrauch an der Grenze hat die AfD-Vorsitzende Frauke Petry die Medien angegriffen. Dem «Mannheimer Morgen» warf sie eine «verkürzte und völlig sinnentstellte» Wiedergabe ihrer Worte vor. Man wollte die Schlagzeile produzieren, dass die AfD auf Flüchtlinge schießen will», sagte Petry in Dresden. Das habe aber niemand gesagt. Sie halte das «für journalistisch total inakzeptabel». Das Interview sei im «Stil eines Verhörs» geführt worden. ...

Quelle: AfD-Chefin Petry greift Medien an - weiter lesen auf Augsburger-Allgemeine: http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/AfD-Chefin-Petry-greift-Medien-an-id36802627.html

Im rechtskonservativen und rechtspopulistischen Magazin "Compact" erhält sie vom Journalisten Imad Karim Unterstützung. Er schreibt:

Ich saß am selben Tisch und verfolgte das “Interview” , in der Redaktion von Mannheimer Morgen, das vielmehr ein Verhör war. Frau Petry wurde mehrmals diesbezüglich gefragt und jedesmal sagte sie, “wir müssen die Grenzen sichern und ich hoffe, es kommt nie soweit, dass ein Polizist von seiner Waffe Gebrauch macht”. Das hat aber die kleinkarierten Dorfjournalisten von MM nicht interessiert und wiederholten immer wieder und wieder und wieder ob sie für Schiessbefehl sei und jedesmal antwortete das gleiche, bis sie am Ende sagt, ein Polizist habe auch laut seinen Vorschriften zu handeln. (Es gibt Tonaufzeichnungen)

Quelle: Compact-Magazin, Link zuletzt eingesehen am 6. 2. 2016

Der Journalist hat aber lediglich einen Beitrag der Tagesschau online kommentiert, das Compact-Magazin hat dieses Posting, wie viele andere Medien auch, lediglich aufgegriffen und wiedergegeben.

Aber: Der Journalist erwähnt ja keinen Sachverhalt, der aus dem Interview selbst nicht ersichtlich ist. Der Journalist des Mannheimer Morgens hat sehr deutlich nachgefragt, wie sich Grenzbedienstete verhalten sollten, wenn der Grenzzaun überwunden wird. Auch hat die Zeitung korrekt wiedergegeben, dass Fr. Petry nicht hoffe, dass eine Situation eintritt, die einen Schusswaffengebrauch notwendig mache. insofern ist die Kritik vollkommen haltlos, siehe obigen Interviewauszug.

Sie sagte aber eben auch, dass zur Ultima ratio der Schusswaffengebrauch gehöre. Wenn also Menschen nach wiederholter Aufforderung, stehen zu bleiben, die Grenze dennoch überqueren, dann gehöre der Schusswaffeneinsatz als ultima ratio dazu, weil dies so im Gesetz stehe. Das ist - siehe unten - nicht richtig!

Hinzu kommt, dass das Interview in der hier vorliegenden Fassung von Fr. Petry zuvor autorisiert und frei gegeben wurde!

Dementsprechend wird auch die Kritik Petrys deutlich zurückgewiesen, Dirk Lübke, Chefredaktuer äussert sich hierzu folgendermaßen:

Frauke Petry und die AfD haben uns selber ein Interview angeboten. Sie und ihr Sprecher haben nach dem Interview jedes Wort zur Autorisierung vorgelegt bekommen. Petry hat nach Angaben ihres Sprechers das Interview vorab selbst gelesen.

Quelle: Mannheimer Morgen vom 3. 2. 2016, Link zuletzt eingesehen am 6. 2. 2016

Zwischenfazit:

Am 31. 1. 2016 erschien im "Mannheimer Morgen" ein Interview, in dem Fr. Petry den Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge befürwortete als ultima ratio, weil dies so im Gesetz stehe.

Er [der Grenzbedienstete, T. B.] muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz. [...] Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.

Aufgrund der öffentlichen Empörung ruderte sie zurück und machte den Medien den Vorwurf, sie falsch wiederzugeben. Das Interview im "Mannheimer Morgen" wurde allerdings von ihr autorisiert, so der Chrefredaktuer Dirk Lübke:

Frauke Petry und die AfD haben uns selber ein Interview angeboten. Sie und ihr Sprecher haben nach dem Interview jedes Wort zur Autorisierung vorgelegt bekommen. Petry hat nach Angaben ihres Sprechers das Interview vorab selbst gelesen.

das Interview in der Rhein-Zeitung

 

Noch am gleichen Tag gab Frauke Petry in der Rhein-Zeitung ein Interview, das aber geplant erst am darauf folgenden Freitag, den 5. 2 2016 erschien.

Das Interview trägt die Überschrift "AfD-Chefin Petry: Wir müssen über Grenzzäune nachdenken" und wurde autorisiert, aber von Frauke Petry nachträglich maßgeblich entschärft.

Hier zunächst die ursprüngliche Fassung:

Auch unserer Zeitung sagte Petry vergangene Woche, dass sie den Waffeneinsatz an der Grenze für zulässig hält. Sie griff damit die Position ihres Lebenspartners und nordrheinwestfälischen AfD-Chefs Marcus Pretzell auf. Der hatte der Deutschen Presse-Agentur bereits im November gesagt: „Die Verteidigung der deutschen Grenze mit Waffengewalt als Ultima Ratio ist eine Selbstverständlichkeit.“


Im Gespräch mit RZ-Chefredakteur Christian Lindner und Redakteur Hartmut Wagner stellte sich Petry voll hinter Pretzell. Auf die Frage „Ihr Partner, Herr Pretzell, hat gefordert, dass notfalls Grenzen auch mit der Waffe gesichert werden müssen. Was sagen Sie dazu?“ antwortete sie: „Das ist geltende deutsche Rechtslage.“ Nachfrage: „Also notfalls schießen?“ Antwort: „Als Ultima Ratio ist der Einsatz der Waffe zulässig. Das haben wir gerade schon besprochen. Es ist nichts, was sich irgendjemand von uns wünscht. Es müssten alle anderen Maßnahmen davor ausgeschöpft werden.“

Quelle: Rhein-Zeitung vom 4. 2. 2016, Link zuletzt eingesehen am 7. 2. 2016

Inhaltlich ist diese Aussage deckungsgleich mit der im Mannheimer Morgen. Sie fordert einen Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze als ultima ratio, nachdem zuvor alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. Auch hier betont sie die angeblich geltende Rechtslage.

In der entschärften, von ihr redigierten, besser umgeschriebenen Antwort, liest sich das dann folgendermaßen:

Wer hätte diese Grenzanlagen bei uns zu bewachen?

Aktuell die Bundespolizei.

Bewaffnet?

Das ist geltende deutsche Rechtslage. Sie kennen die Gesetze wahrscheinlich genauso gut wie ich. Sie wissen, dass Bewaffnung zur Ausrüstung der Polizei gehört. Wenn die Regierung dieses Gesetz für falsch hält, hat sie das Möglichkeit, es zu ändern. Im Gegensatz zu uns.

Also notfalls schießen?

Alle Beamten im Grenzdienst tragen eine große Verantwortung, kennen die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Quelle: Rhein-Zeitung vom 4. 2. 2016, Link zuletzt eingesehen am 7. 2. 2016

Diese Veränderung ist lt. Rhein-Zeitung auf das Eingreifen von Fr. Petry zurückzuführen. Der Chefredakteur der Rhein-zeitung, Christian Lindner, kommentiert den Vorgang wie folgt:

Jetzt aber hat Frauke Petry selbst gezeigt, wie sie die Wahrheit beugt. Sie reist durch die Republik, bietet den von ihr ansonsten so gering geschätzten Zeitungen Interviews an, fordert dann auch im Gespräch mit uns: Unser Staat soll zur Abwehr von Flüchtlingen Grenzsicherungsanlagen zwischen Deutschland und Österreich bauen und diese im äußersten Fall auch mit Waffen verteidigen. Als Petrys Forderung nach einem ihrer Interviews bundesweit Empörung auslöst, agiert sie exakt so, wie die AfD es Altparteien und Lügenpresse vorwirft: Sie will vertuschen und unterdrücken, was sie gesagt hat – indem sie diese Passage komplett umschreibt.

Quelle. Rhein-Zeitung vom 5. 2. 2016, Link zuletzt eingesehen am 7. 2. 2016

Im Fall der Rhein-Zeitung wurde das Interview ebenfalls zur Autorisierung vorgelegt, aber eine Passage wurde inhaltlich massiv verändert. Dennoch wurde auch (sic!) die ursprüngliche Variante publiziert, was natürlich erneut auf deutliche Ablehnung stieß. Diesen Schritt rechtfertigt der Chefredakteur:

„Mein Verständnis von Autorisierung ist, dass man ein Interview glättet und strafft, vielleicht zwei lange Sätze zu einem kurzen macht (…) Aber nicht, dass man den Sinn der Aussage völlig entstellt, wie Frau Petry es getan hat.“ Bei der Aktion seines Blattes gehe es auch nicht um Verleumdung, „sondern um Aufrichtigkeit im Umgang mit Medien“. „Es hat eine tiefe politische Symbolik, dass Frau Petry die betreffende Passage völlig verfremdet hat, um die Öffentlichkeit zu manipulieren“.

Quelle: FAZ vom 5. 2. 2016, Link eingesehen am 7. 2. 2016

Fazit:

Fr. Petry hat Ende Januar sowohl im "Mannheimer Morgen" als auch in der "Rhein-Zeitung" einen Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge, die illegal die Grenze überqueren, als Ultima-Ratio befürwortet. Nach Protesten der Öffentlichkeit und auch in den eigenen Reihen ruderte sie zurück und machte der Presse den Vorwurf, sie falsch wiederzugeben, obwohl eindeutige Autorisierungen Ihrerseits vorliegen.

Wichtiger Punkt für die weitergehende Analyse: In allen relevanten Aussagen hatte sie sich immer auf die geltende Rechtslage berufen.

Fr. Petry beruft sich auf §11 UZwG, dem "Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes":

Bildquelle: AfD-Goslar, Link zuletzt eingesehen am 10. 2. 2016

Polizei ist aufgrund der föderalen Struktur Ländersache. Ausnahme bildet die Bundespolizei, die eben u. a. für die Grenzsicherung zuständig ist (§2 BPolG).

Es gibt eine Vielzahl maßgeblicher Gesetze, eines davon ist das UZwG. Hier im Wortlaut der relevante §11:

(1) Die in § 9 Nr. 1, 2, 7 und 8 genannten Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, daß die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuß ersetzt werden.

Allerdings darf man sich aus einem Gesetz nicht einfach einen Paragraphen herauspicken. Ein einzelner Paragraph steht im Kontext des gesamten Gesetzestextes, es gibt eine Rechtsprechung hierzu, in diesem Fall ist der Bundesgerichtshof als höchste Instanz zuständig. Unter Umständen kommen noch andere gesetzliche Regelungen in Betracht, die beachtet werden müssen.

In einer Informationsbroschüre des Vereins "Keine Gewalt gegen Polizisten " heißt es zum Thema Schusswaffengebrauch:

"Zuerst muss sich der Polizeibeamte die Frage beantworten, ob er überhaupt zur Anwendung unmittelbaren Zwangs berechtigt ist und ob dieser im vorliegenden Fall verhältnismäßig ist. Das ist dann der Fall, wenn keine andere Maßnahme bis hierher zum Ziel geführt hat. Eine Voraussetzung für den Gebrauch der Schusswaffe ist, dass damit eine Straftat verhindert werden kann. In Betracht kommen dabei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Raubdelikte und gemeingefährliche Straftaten, wie bspw. Brandstiftungen o.ä. Bei weniger starken Straftaten, man spricht juristisch von Vergehen, darf ein Polizeibeamter nur von der Schusswaffe Gebrauch machen, wenn er weiß, dass der Täter selbst mit einer solchen bewaffnet ist. Dafür muss er sie nicht gesehen haben, es reicht, dass er eine entsprechende Information hat. Ebenfalls muss die Schusswaffe nicht echt sein, es reicht, wenn sie echt aussieht. Im Grunde liegt das auf der Hand, denn wie soll er den Wahrheitsgehalt seiner Information oder die Echtheit der Waffe überprüfen, wenn er sich nicht erschießen lassen möchte? Wird also bspw. ein Dieb bei einem Einbruch überrascht, so ist der Einsatz einer Schusswaffe nicht gerechtfertigt, wenn damit der Einbruch beendet werden soll. Greift der Täter allerdings zu seiner Schusswaffe, um die Polizeibeamten zu bedrohen, dann dürfen diese schießen, um ihr eigenes Leben zu schützen."

Quelle: Gerke Minrath: Schusswaffengebrauch. Wenn Polizisten schießen müssen, hrsg. vom Verein "Keine Gewalt gegen Polizisten e.V.", Remagen 2014, S. 16.

Hier wird bereits ein wichtiger Sachverhalt erwähnt: Das angewendete Mittel muss verhältnismäßig sein! Die Verhältnismäßigekit ist abhängig von der Gefahrenabwehr (im Rahmen der Notwehr und Nothilfe) und von der vermuteten Straftat. Wird ein Polizist selbst derart angegriffen oder greift jemand einen Dritten derart an, das das Leben in Gefahr ist, dann ist selbstversändlich der Schusswaffengebrauch legitim (Notwehr im ersten, Nothilfe im zweiten Fall).

Bei der Abwehr von Straftaten muss ein sehr hohes Rechtsgut verletzt werden, um einen Schusswaffengebrauch zu legitimieren.

Von Flüchtlingen geht erst einmal per se keinerlei Gefahr aus. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein Flüchtling oder mehrere andere Menschen angreifen, Polizisten angreifen oder mit Waffen, Sprengstoff oder ähnliches hantieren. Denkbar wäre auch der Fall, dass ein Polizist aufgrund eines Fahndungsfoto einen Straftäter erkennt.

Flüchtlingen aber von vornherein eine Straftat zu unterstellen, verstößt gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien, in diesem Fall gegen die Unschuldsvermutung.

Wenn Flüchtlinge eine Grenze überqueren, greifen sie nicht an oder möchten sich auch keiner Personenkontrolle entziehen. Dies sind wesentliche Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch.

Ferner muss, um sich einer Personenkontrolle durch Flucht entziehen zu können, auch ein Kontrollangebot vorliegen. Mit anderen Worten: Wenn eine Gruppe von Menschen an der Grenzlinie diese überquert, darf nicht unterstellt werden, dass sie dies tun, um sich einer Kontrolle an einem Grenzübergang zu entziehen.

§12(2) UZwG lautet:

Der Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten, zu schießen, wenn durch den Schußwaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 10 Abs. 2) nicht vermeiden läßt.

Hier ist der Zweck des Schusswaffeneinsatzes sehr eng umrissen. Wenn ein Schusswaffengebrauch flucht- oder angriffsunfähig machen soll, muss entweder eine Flucht oder ein Angriff vorliegen. Dies ist bei Flüchtlingen in der Regel nicht der Fall.

Der Bundesgerichtshof hat schon 1988 in einem Grundsatzurteil dem Schusswaffengebrauch im Grenzdienst enge Grenzen gesetzt:

Wird auf eine Person geschossen, so ist dies als besonders schwerer Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu werten (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr 9. Aufl. S. 544). Der mit Verfassungsrang ausgestattete und in § 11 Abs. 2 BGSG , § 4 Abs. 2 UZwG noch einmal hervorgehobene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, von an sich gesetzlich zugelassenen Zwangsmaßnahmen abzusehen, wenn ein zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Auch wenn die in den §§ 11 ff. UZwG umschriebenen Voraussetzungen für den Schußwaffengebrauch im Grenzdienst erfüllt sind, darf nicht ohne weiteres auf sich der Kontrolle entziehende Personen geschossen werden.

Quelle: Entscheidung des Bundesgerichtshofes. AZ 3 StR 198/88, Randnummer 18

Bereits hier wird deutlich, dass nicht "einfach so" geschossen werden darf, selbt wenn sich Personen einer Kontrolle entziehen.

Weiter heisst es im Urteil:

Der Beamte muß vor dem Einsatz der Schußwaffe die in der jeweiligen Situation auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und der körperlichen Unversehrtheit des Fliehenden unter sorgfältiger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeneinander abwägen. Dabei darf er den Zweck des § 11 UZwG berücksichtigen, im Interesse einer wirksamen Grenzsicherung vor besonders gefährlichen Tätern den Schußwaffengebrauch über die sonst zu beachtenden einschränkenden Voraussetzungen des § 10 UZwG hinaus zu erleichtern (vgl. Riegel, Bundespolizeirecht § 11 UZwG Anm. 1, Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesrepublik Deutschland S. 169; Pioch a.a.O. § 11 Anm. 3 b zu Abs. 1). Ein Ermessensfehlgebrauch und damit rechtswidrig wäre es, wenn der Beamte eine solche den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtende Abwägung fehlerhaft oder gar nicht vornimmt, etwa auf einen seiner Anhalteverfügung nicht nachkommenden Grenzgänger schießt, ohne geprüft zu haben, ob die ihm bekannten Gesamtumstände auf eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hindeuten, wenn der Grenzgänger unkontrolliert entkommt.

Quelle: Entscheidung des Bundesgerichtshofes, AZ 3 StR 198/88, Randnummer 18, Hervorhebung von mir

Hier legt das Gericht fest, dass eine erhebliche Gefahr vom Grenzgänger ausgehen muss, auf auf ihn schiessen zu dürfen.

Letzlich ist noch zu klären, ob ein unerlaubter Grenzübertritt eine solch erhebliche Gefahr bedeutet.

Dies ist eindeutig zu verneinen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Staatsrechtler Christoph Schönberger geht noch einen Schritt weiter und bezieht die kontrollfreie Situation des Schengen-Raums mit ein:

Zagatta: Wenn Sie das sagen, Verhältnismäßigkeit, könnte man theoretisch überhaupt auf jemand schießen, der nur versucht, auf das Gebiet Deutschlands zu kommen? Das ist ja vielleicht eine Straftat, aber noch nicht ein so schweres Verbrechen, dass es einen Schusswaffengebrauch rechtfertigt.

"Wenn sich eine Person systematisch der Kontrolle entzieht"

Schönberger: Nein. Das, denke ich, ist unverhältnismäßig, wenn eine unbewaffnete, nicht aggressive Person versucht, in die Bundesrepublik hineinzukommen. Wie gesagt, die einzige Norm, die wir in diesem Zusammenhang kennen, hat vor Augen die Konstellation, dass die Person sich systematisch der Kontrolle entzieht. Das ist ja im Moment überhaupt gar nicht der Fall. Man muss auch dazu sehen, dass natürlich diese Norm bezogen ist auf eine Situation, wie wir sie früher hatten, dass wir systematische Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen hatten. Das haben wir im Schengen-Raum ja bekanntlich nicht mehr. Wir haben keine festen Kontrollstationen mehr, wir haben keine strenge Grenzkontrolle mehr und wir haben jetzt gerade erst im letzten Jahr auf Zeit wieder ein gewisses Maß an Kontrollen an den deutschen Außengrenzen zu anderen EU-Staaten eingeführt.

 

Quelle: Der Staatsrechtler Prof. Schönberger im Interview des Deutschlandfunks am 2. Februar 2016, Link zuletzt eingesehen am 11. Februar 2016

Erstens stellt er fest, dass der Schusswaffengebrauch gegen friedliche Menschen, die die Grenze überqueren, unverhältnismäßig sei. Zum zweiten stellt er die gesetzliche Grundlage in den historischen Entstehungskontext. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei äusserte sich im Spiegel hierzu:

Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, stellt klar: "Kein deutscher Polizist würde auf Flüchtlinge schießen." Wer ein solches radikales Vorgehen vorschlage, wolle "offenbar den Rechtsstaat aushebeln und die Polizei instrumentalisieren".

Polizisten seien keineswegs per Gesetz dazu verpflichtet, zum Schutz vor illegalem Grenzübertritt "notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch" zu machen. Radek: "Das ist gesetzlich nicht gedeckt. Waffen dürfen nur zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr eingesetzt werden. Die illegale Einreise von Flüchtlingen zählt dazu nicht."

 

Quelle: Der Spiegel, Link zuletzt eingesehen am 11. 2. 2016

Halten wir fest: Um einen Schusswaffengebrauch zu rechtfertigen, muß vom Grenzgänger eine erhebliche Gefahr ausgehen. Diese kann selbstverständlich nicht per se unterstellt werden. Demzufolge ist der Schusswaffengebrauch an der Grenze gegen Flüchtlinge gesetzlich nicht legitimiert!

Hier möchte ich kursorisch darauf eingehen, welche Folgen ein Schusswaffengebrauch hätte.

Bei Schussverletzungen:

Wenn ein solcher Einsatz gegen Menschen erfolgt, muss man davon ausgehen, dass dieser zumindest zu Verletzungen führt. Jetzt stellt sich die Frage, wer sich um diesen Verletzten wie kümmert. Wenn er jenseits der deutschen Grenze liegen bleibt: Soll man darauf hoffen, dass jemand den Rettungswagen ruft? Oder sollen die Polizisten selbst diesen rufen? Dazu wären Sie verpflichtet!
Bleibt der illegale Grenzgänger auf deutschem Boden zum (Er)liegen, dann muss die deutsche Polizei für medizinische Hilfe sorgen, abgesehen davon, dass er dann ohnehin faktisch schon eingereist ist.

Kann die Einreise generell verhindert werden?

Auch dies verneine ich kategorisch. Das Asylrecht ist ein Grundrecht, das nicht vorab verweigert werden darf. Natürlich darf ein Asylantrag abgelehnt werden. Die Antragstellung und -prüfung kann aber keineswegs verweigert werden. Da hilft auch nicht das Dublin-III-Abkommen. Denn generell ist denkbar, dass der Flüchtling im Nachbarland einen Antrag gestellt hat, der rechtswidrig abgelehnt wurde. Dies ist keineswegs abwegig, da das Aslrecht innerhalb der EU leider nicht vereinheitlicht ist. So ist beispielsweise die Anerkennungsquote von Sinti und Roma aus dem Balkan in Frankreich deutlich höher, weil man dort die systematische Diskriminierung als Asylgrund anerkennt.

Außerdem verweigern deutsche Gerichte die Rückführung von Flüchtlingen gemäß dem Dublin-III-Abkommen in einige Länder wie beispielsweise Griechenland oder Bulgarien wegen der schlechen menschenrechtlichen Situation für Flüchtlinge dort. So hat Deutschland bereits 2011 (sic!) offiziell vom sg. Selbsteintrittrecht gebrauch gemacht. Den Dublin-III-Abkommen dürfen Flüchtlinge, wenn sie mehrere EU-Länder durchqueren, nicht in ein beliebiges Land abgeschoben werden zwecks Verwirklichung des Asylrechts. Sie müssen in das Land abgeschoben werden, in dem sie zum ersten Mal ein Land der EU betreten haben, was zumeist Italien oder Griechenland ist.

Nun ist es erstens alles andere als fair, diesen Ländern die gesamte Last zu überlassen, zweitens haben, wie bereits erwähnt, Gerichte die Rückführung in diese Länder wegen der schlechten Bedingungen dort untersagt.

Somit stehen auch der Rückführung nach Dublin-III diverse rechtliche Hürden entgegen.