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Der Anlass

Am 2. Juni 2018 hielt Alexander Gauland eine Rede zur Gründung der JA, der Jugendorganisation der AfD. Er titulierte hier die NS-Diktatur als Vogelschiss, was dementsprechend zur öffentlichen Empörung führte. Die Analyse der kurzen Rede ist hinsichtlich des Geschichtsbildes der AfD lohnenswert.

Die Rede

Er leitet ein:

Liebe Freunde, als ich das letzte Mal bei Ihnen zu Gast sein durfte, schien der Bundestag noch eine uneinnehmbare Festung. Jetzt sind wir die größte Oppositionspartei. Dass ist weniger unser als Ihrer aller Leistung. Ohne ihr „Anpacken“ in allen Landesverbänden, säßen die 92 nicht im alten Reichstag. (Hervorhebung von mir).

Eine Metapher ist hier schon auffallend, die Bezeichnung des Bundestags als "uneinnehmbare Festung". Hier werden militärische Bilder aufgegriffen. Der Deutsche Bundestag wird nicht gegen Eindringlinge verteidigt, man ist durch Wahlen ein Abgeordneter. Durch diese Metapher werden Feinde heraufgeschworen, die nur durch große Anstrengung und Gewalt überwunden werden können. An welche Zeiten Gauland denkt, zeigt sein Begriff "Reichstag". Es geht um das alte deutsche Reich. Als historisches Gebäude wird das Gebäude korrekt als "Reichstag" oder präziser als "Reichstagsgebäude" bezeichnet. Der Arbeitsplatz ist allerdings der Bundestag, man ist Bundestags- und kein Reichstagsabgeordneter. Zwar wird die Formulierung "alter Reichstag" verwendet, aber warum nicht einfach "säßen die 92 nicht im Bundestag"?

Die Antwort findet sich im weiteren Verlauf der Rede: es wird gezielt an vorbundesrepublikanische Zeiten appelliert. 

Und Sie haben der Partei noch etwas voraus, was wir nachmachen müssen: Zusammenhalt und Einigkeit. Ja liebe Freunde, wir haben das Land schon verändert. Es ist wieder sagbar geworden, was unterzugehen drohte. Wir sind Deutsche, wir sind stolz darauf, wir lieben dieses Land.

Auch hierauf zielt Gauland ab: Unsagbares aufgrund deutscher Geschichte wieder salonfähig zu machen. Hierfür holt er den Nationalstolz hervor, zu dem Deutsche angeblich, so wird unterstellt, nicht fähig sind. Nationalstolz und Vaterlandsliebe sind Eigenschaften, die eher aus dem rechten Parteienspektrum stammen. Dieser Nationalstolz, wie er gerade auch aus der Weimarer Republik insbesondere von rechts-konservativen Gruppierungen vertreten wurde, ist durch den Nationalsozialismus in Mißkredit geraten. Die neue Bundesrepublik konnte zu Recht nicht an eben diesen anknüpfen.

Es gibt Menschen in diesem Land, die weder mit deutscher Geschichte noch mit deutscher Kultur etwas anfangen können. Aber liebe Freunde, Integration kann nur in etwas stattfinden, das einen Eigenwert verkörpert, dass den Fremden stolz macht, dazu zu gehören. Wer dieses Land nicht liebt, wer seine Kultur und Geschichte verachtet, kann und wird niemanden integrieren. Denn der Neubürger will stolz sein, er will zu etwas Wertvollem dazugehören. Deshalb sind die Deutschland-Abschaffer die wahren Fremdenfeinde.

Hier gelingt es, typisch AfD, wieder einmal Flüchtlingspolitik unzulässigerweise mit einem anderen Thema zu verbinden und die politischen Gegner für die Probleme verantwortlich zu machen. Die dreischrittige Argumentation lautet:

1. Kritiker des Patriotismus verachten Deutschland, machen Deutschland nicht zu etwas Wertvollem.

2. Nur Wertvolles ist liebenswert, was auch Fremde stolz machen würde.

3. Ergo sind Kritiker des Patriotismus die Fremdenfeinde.

Auf diese Weise wird jegliche Verantwortung, siehe auch weiter unten, von sich gewiesen. Darüber hinaus nur das Konzept der AfD als das alleinige Rezept zur Integration angepriesen.

Ja, ich weiß, nach 1945 wollten manche Deutsche das Deutschsein wie eine alte zerfetzte Wehrmachtsuniform ablegen und in Europa aufgehen. Doch das wollte niemand außer ihnen. Die Briten hatten nie die Absicht, ihre Jahrhunderte alte Monarchie gegen die Brüsseler Eurokratie zu tauschen. Aber auch Franzosen und Italiener hatten und haben nicht vor, von Frankreich und Italien zuerst abzugehen.

An dieser Stelle wechselt Gauland kurz das Thema, um gegen die Europäische Union zu wettern. Aber auch hier verkürzt Gauland die Geschichte unzulässig. 1945 war von einer europäischen Union noch gar keine Rede. Die im Volksmund so genannte Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) wurde 1951 gegründet. Unter anderem waren auch Frankreich und Italien Gründungsmitglieder.

Deshalb liebe Freunde, die Italiener haben jedes Recht ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen – aber bitte nicht mit deutschem Steuergeld. Unsere Partei wurde gegründet als Anti-Euro-Partei. Wie Recht wir hatten, kann man heute sehen. Es funktioniert nicht, um unterschiedliche Volkswirtschaften eine einheitliche Währung zu legen und zu glauben, nationale Wirtschaftskulturen damit aushebeln zu können.

Gauland nimmt Rekurs auf die ideologische Gründungsphase der AfD als Anti-Euro-Partei. Allerdings nicht, um die Europolitik oder die EU zu kritisieren, denn dies Thema kommt ja in seiner Rede hier nur fragmentarisch vor. Er benötigt dies eher bürgerliche Thema, um zu seiner radikalen Flüchtlingspolitik überzuleiten:

Aber liebe Freunde, es funktioniert eben auch nicht, Menschen aus fremden Kulturen ins Land zu lassen und zu glauben, diese Menschen würden im Handumdrehen zu Deutschen. Wie hat Frau Göring-Eckardt so falsch formuliert: „Wir haben Menschen geschenkt bekommen.“ Und das hat die Leiterin der Bremer Asylaußenstelle schon richtig verstanden. Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Da haben Beamte umgesetzt, was die Politik von ihnen wollte – möglichst schnelle Annahme aller Geschenke.

Kritisch ist anzumerken, dass Integration eben nicht bedeutet, vollständig zu Deutschen zu werden, wie auch immer dies überhaupt definiert ist. Man muss unterscheiden zwischen Integration und Assimilation.

Integration:

Dies bedeutet die Einbeziehung eines Teils in ein großes Ganze. Fremdwörter zum Beispiel werden in die deutsche Sprache integriert, bleiben aber als Fremdwörter erkennbar. Dies bedeutet für Menschen, dass sie auch ihre kulturellen Eigenheiten behalten können. Natürlich aber auch, dass die Menschen unsere Gesetze vollumfänglich akzeptieren und die Sprache lernen. Integration bedeutet aber auf keinen Fall, alle kulturellen Eigenheiten abzulegen.

Assimilation:

Dies meint Gauland eigentlich: Die vollständige Angleichung eines Einzelnen an die Eigenschaften einer größeren Gruppe.

Die Kritik an das BAMF ist auch deswegen ungerechtfertigt, weil niemand davon ausgeht, dass aus zugewanderten Menschen im "Handumdrehen" Deutsche werden. Auf der Webseite des BAMF heißt es: "Integration ist ein langfristiger Prozess. Sein Ziel ist es, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zugewanderten soll eine umfassende und gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Sie stehen dafür in der Pflicht, Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen." Stichwort Integration, zuletzt eingesehen am 29. 1. 2019

Aber liebe Freunde, die Zeiten haben sich geändert, wir sind jetzt da und durchleuchten diese Geschenke und wir wollen wissen, warum ohne Beteiligung des Deutschen Bundestages die Grenzen geöffnet und rund eine Million Afrikaner ins Land gelassen wurden, die uns allein 2017 20 Milliarden Euro kosten.

Erwähnt wird der angebliche Kostenfaktor, natürlich kommen nur Afrikaner nach Deutschland, was sachlich falsch ist. Hier wird an Bilder von Rückständigen appelliert.

Doch, wenn man daran erinnert und die fast täglichen Messerattacken und -übergriffe thematisiert, dann reden die anderen davon, wir spalten die Gesellschaft. Aber nicht wir haben die Gesellschaft gespalten, es waren die Politiker und ihre Helfershelfer, die dieses Land dem Unheil geöffnet haben. Nicht der ist schuld, der Feuer ruft, sondern der, der den Brand gelegt hat. Und noch heute darauf beharrt, dies sei richtig gewesen.

Geflissentlich verschwiegen wird die Gewalt, die von Deutschen ausgeht. Außerdem wird impliziert, dass alle Geflüchteten gewalttätig seien.

Die Zustände im BAMF sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung, die jede Selbstbehauptung aufgegeben hat und uns beibringen will, als Volk zuerst in Europa und dann in der Welt aufzugehen. Aber wir wollen weder in der Welt noch in Europa aufgehen.

Hier spricht Gauland von Assimilation und unterstellt dabei, dass es zwangsläufig zu einem kulturellen Einheitsbrei kommen muss. Klar grenzt er sich hiervon als Alternative ab und versucht, die spezifisch deutsche Kultur hervorzuheben und zu bewahren, die er bedroht sieht als Ergebnis des Aufgehens in Europa.

Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, die länger dauerte als 12 Jahre und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre, aber liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über tausendjährigen Geschichte.

Was Gauland unter ruhmreicher Geschichte versteht, wird er gleich darlegen. Allerdings sind die 12 Jahre nur ein Vogelschiss in zeitlicher Hinsicht, 12 Jahre von Tausenden. Nur passierte in eben diesen 12 Jahren etwas, was qualitativ weit über Ereignisse der anderen Jahre negativ hervorsticht. Dies muss Gauland herunter spielen, damit die deutsche Geschichte ruhmreich bleiben kann in seinen Augen. Ebenso ist sein Rückgriff auf die tausendjährige Geschichte eindeutig in der NS-Ideologie zu verorten, dort sprach man vom "1000jährigen Reich".

Und die großen Gestalten der Vergangenheit, von Karl dem Großen über Karl den V., bis zu Bismarck sind der Maßstab an dem wir unser Handeln ausrichten müssen. Grade weil wir die Verantwortung für die 12 Jahre übernommen haben, haben wir jedes Recht, den Stauferkaiser Friedrich II., der in Palermo ruht, zu bewundern.

Karl V. war ein Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, herrschte über weite Teile Europas und Afrikas. Ganz in Gaulands Sinn führte er Kriege gegen das Osmanische Reich. Auch der Stauferkaiser führte Kriege gegen Osmanen auf Sizilien.

Der Bamberger Reiter gehört zu uns, wie die Stifterfiguren des Naumburger Doms. Liebe Freunde, denken wir immer daran, dass ein deutscher Jude, Ernst Kantorowicz den Ruhm des Stauferkaisers beschrieben hat. Nein, der Islam gehört nicht zu uns, unsere Vorfahren haben ihn 1683 vor Wien besiegt. Aber das deutsche Judentum, von Ballin und Bleichröder über Rathenau und Kantorowicz war Teil einer deutschen Heldengeschichte, die Hitler vernichten wollte.

Ausgehend von diesen beiden historischen Figuren Karl V. und Friedrich II. leitet er zu seiner heutigen Ablehnung des Islams über. Natürlich muss auch ein Jude herhalten als Alibi, um zu verdeutlichen, dass Gauland im Recht sei. Es folgt ein Bekenntnis zum Judentum als Heldengeschichte.

Hitler vernichtete u. a. die jüdische Kultur in Europa, die eben nicht nur aus einer Heldengeschichte besteht. Natürlich sind im Nationalsozialismus Helden jüdischer Abstammung aus den Geschichtsbüchern verschwunden oder wurden umgedeutet. Gauland reduziert den Holocaust auf die Vernichtung deutscher Juden mit einer Heldengeschichte. Die unzähligen "normalen" Juden, erwähnt er nicht, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die meisten ermordeten Juden keine deutschen Juden waren.

Liebe Freunde, uns muss man nicht vom Unwert des Nationalsozialismus überzeugen, wir haben diesen Unwert im Blut. Aber liebe Freunde, wer eine Rotkreuzflagge aus den letzten Tagen des Kampfes um Berlin entsorgt, wie die Bundesverteidigungsministerin, hat keine Achtung vor soldatischen Traditionen, die es jenseits der Verbrechen auch in der Wehrmacht gab.

Den tatsächlichen Unwert des Nationalsozialismus thematisiert Gauland eben nicht. Keine Rede davon, was diese 12 Jahre für die Opfer bedeuten, keine Rede davon, dass diese 12 Jahre einen Zivilisationsbruch bedeuten. Statt dessen versucht er, die deutsche Geschichte als Heldengeschichte des Militarismus umzudeuten. Hierfür muss auch die Wehrmacht in einem besseren Licht erscheinen. Dieses Motiv begegnet greift Gauland häufiger auf.

Nachdem man einen rechtsextremen Bundeswehrangehörigen, der diverse Devotionalien der Wehrmacht hortete, erging die Anweisung, die solche Erinnerungsstücken an die Wehrmacht einzusammeln. Dazu gehört auch eine Fahne des Roten Kreuzes, sie kennzeichnete einen Truppenverbandplatz der Wehrmacht am Reichstagsgebäude. Nach der Übergabe an die Rote Armee wurde sie in der Nacht auf den 1. Mai 1945 geborgen und befand sich bis 2017 in einem Bundeswehrkrankenhaus.

Ich war befreundet mit dem jetzt leider verstorbenen britischen Historiker Lord Blake, dem großen Disraeli-Biografen, und der hat mir gesagt, wenn General Feldmarschall Rommel am 08. Mai 1945 in Wehrmachtsuniform am Trafalgar Square gestanden hätte, hätten ihm die Briten freundlich die Hand gegeben.

Rommel war ein angesehener Kriegsstratege, der im 2. Weltkrieg in Afrika eine britische Offensive stoppte. die nationalsozialistische Propaganda lies den sg. "Wüstenfuchs" zu einem Mythos werden. Umstritten ist Rommels Rolle im Widerstand des 20. Juli. Rommel sah 1944, dass der Krieg beendet werden müsse, er ließ sich aber nicht für den Widerstand gewinnen. Rommel hatte aufgrund seiner Popularität viele Feinde in der Wehrmacht, es kann sein, dass belastendes Material, das ihn in die Nähe des Widerstands des 20. Juli rückte, gezielt verfälscht wurde.

Rommel beging, nach dem ihm das Material vorgelegt und vor die Wahl gestellt wurde, entweder Selbstmord zu begehen oder sich vor dem Volksgerichtshof zu verantworten, Selbstmord. Die NS-Propaganda hielt auch nach seinem Tod am Mythos "Rommel" fest.

Zu unserer Geschichte gehören: Roßbach, Leuthen und Hohenfriedberg, Düppel und Königgrätz, Mars la Tour und Sedan aber eben auch Verdun und El Alamein und ich bin froh, dass eine neue Generation dieser Tradition unvoreingenommen gegenüber steht.

Viele Orte, die eins gemeinsam haben: es handelt um Schauplätze kriegerischer Auseinandersetzungen:

Schaut man sich diese Schlachten genauer an, kommt man zu dem Ergebnis, dass in fast allen direkt Preußen beteiligt war, bekannt durch den preußischen Militarismus.

Lassen Sie uns gemeinsam das Gute bewahren und aus dem Schlechten lernen. Die Junge Alternative soll leben, sie ist die Zukunft der Partei.

Indirekt appelliert Gauland über den Weg dieser Schlachten an preußische Tugenden, die hier aber sehr militaristisch aufgefasst werden müssen, da er diese nicht klar benennt. Das Gute findet man laut Gauland in diesen Schlachten. Ihm geht es um den Erhalt westlicher Werte, die aufgrund der von ihm verwendeten Sprache und Metaphern im Militarismus und preußisch-militaristischen Tugenden zu verorten sind. Heldengeschichte ist auch eine Abwehr des Islams und Kampf gegen ihn. Deutsche Geschichte wird reduziert auf militärische Auseinandersetzungen.

Fazit:

Gauland versucht in seiner Rede, die deutsche Geschichte vom Makel des Nationalsozialismus zu befreien, indem er sich zwar dazu bekennt, dass diese 12 Jahre negativ konnotiert sind. Allerdings sind es in seinen Augen eben nur 12 Jahre hinsichtlich der zeitlichen Dimension. Und nur diese Dimension thematisiert er. Das Herunterspielen der NS-Diktatur ist notwendig, um die deutsche Geschichte als Heldengeschichte umzudeuten. Diese Heldengeschichte ist eindeutig militaristisch definiert, weswegen auch die deutsche Wehrmacht, die eben auch an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt war, von eben diesen befreit werden muss.

In meinen Anmerkungen hier verwendete ich den Begriff "Zivilisationsbruch". Um einen solchen handelt es sich aus damaliger Perspektive, denn man konnte sich, das geht auch auf Reaktionen der Alliierten auf Hinweise über den Holocaust hervor, nicht vorstellen, dass ein modernes, zivilisiertes Land im Herzen Europas, das sich noch dazu als "Kulturnation" begriff, zu solcher Barbarei fähig ist.